Eins sei gleich vorab bemerkt: Leinenführigkeit hat nichts mit dem natürlichen Verhalten eines Hundes zu tun. Sie ist erst wichtig geworden, weil der Mensch immer naturfremder geworden ist. Das "Sicherheitsbedürfnis" der Menschen und die daraus resultierenden Reglementierungen führten dazu, dass die Hunde heute an der Leine geführt werden müssen. In meinen Augen sind dadurch sehr viele Verhaltensprobleme beim Hund entstanden, denn er kann sich nicht so verhalten, wie er es natürlicherweise tun würde. Kein Hund würde sich freiwillig an die Leine begeben- dieser Zwang ist vom Menschen erdacht.
In Mecklenburg- Vorpommern gilt beispielsweise ganzjährig Leinenpflicht in den Wäldern und auch in den meisten Teilen der Städte.
Auf Äckern, Feldern, Wiesen und sonstigen Freiflächen, auf denen der Hund mal ohne Leine ist, werden freilaufende Hunde ebenfalls nicht gern gesehen oder es ist direkt verboten. Natürlich verstehe ich auch die Bedenken, denn viele Hunde (und Menschen) verhalten sich durch die unnatürliche Erziehung der letzten Jahrzehnte jetzt ja auch unnatürlich und dadurch kommt es zu viel mehr Konflikten,
Die Alternative sind dann die Hundesauslaufgebiete, meist in Minigröße. Tja, und da treffen dann all die "naturfremden" Wesen aufeinander und können sich kaum ausweichen.
Da der Leinenzwang derzeit herrscht, bleibt nicht viel Spielraum und man muss einen Weg finden, damit umzugehen.
Nun ist es mir wichtig, das erstmal der Begriff beleuchtet wird, den Hundeleute tagein tagaus im deutschsprachigen Raum benutzen.
Dieser besteht aus zwei Teilen: Leinen & Führigkeit. Sein Hauptaugenmerk liegt auf dem rechten Teil- also der Führigkeit. Hunde-Experten sehen in der Führigkeit, die Bereitschaft des Hundes, dem Menschen zu dienen und bereitwillig auf jeden Wunsch des menschlichen Führers einzugehen- hört sich an als sprächen sie hier von einem Flaschengeist.
In Bezug auf die Leinenführigkeit ist mit dem Begriff gemeint, dass der Hund führig im Sinne von folgsam und gehorsam an der Leine gemacht werden soll- und nicht etwa der Mensch. Der Vierbeiner soll an der Leine ein gewünschtes Verhalten zeigen. Die Rollen sind ganz klar verteilt: der Mensch soll führen und der Hund soll führig sein. Die Leine soll dabei immer schön locker bammeln. Menschen und Hunde mühen sich nach den "besten" Lehrmethoden ab und sehen dabei entweder wie ferngesteuert aus oder depremiert- nämlich,wenn es nicht klappt. Der Focus liegt eindeutig auf den Techniken zur Herstellung der Leinenführigkeit. Wer der Mensch ist und wen er da an seiner Seite hat, wird wenig bis gar nicht berücksichtigt.
Die "Wirklichkeit" da draußen zeigt mir, dass irgend etwas mit dem Konzept des Leinenführigkeits-Training, bei dem der Hund als Objekt betrachtet wird, nicht stimmen kann. Denn auch während oder nach diesen Technikübungen gibt es eine Menge Hunde, die einfach nicht leinenführig werden wollen, obwohl das Training doch nach den neuesten Trends der Wissenschaft erfolgt.
Woran das meiner Meinung nach liegen kann, werde ich später im Text ansprechen.
In diesem Abschnitt möchte ich wieder mal aus dem Nähkästchen plaudern. Ich schreibe über meine eigenen Erfahrungen mit Freya, meiner Schäferhündin.
Schäferhunde sind gehorsam- so stand es in der Rassebeschreibung.-Na dann, wird sie ja wohl recht schnell leinenführig gewesen sein?
Keine Spur! Sie schliff mich an der Leine durch die Gegend. In ihren Augen war ich sozusagen leinenführig.
Das war sehr unangenehm. Aber zumindest konnte ich mal erleben, wie es sich so anfühlt, wenn man an der Leine weggeschleppt wird. Diese Erfahrung ist für viele Hunde ja schließlich auch alltäglich.
Auf jeden Fall musste ich was unternehmen, damit Freya leinenführig wird. Ich ging deshalb schon im Welpenalter zur ersten Schule....andere Schulen und Trainer folgten. Es wurde mit Futter gearbeitet, mit Blockieren, mit Clickern, mit Stehenbleiben, Richtungswechsel, einer ruckte sogar heftig an der Leine...und was machte Freya? Sie war völlig unbeeindruckt und baute ihr sogenanntes Fehlverhalten immer weiter aus- auch in anderen Bereichen. Sie zeigte bei mir und auch bei keinem Experten-Menschen ein Verhalten, das man gehorsam nennen würde. An der lockeren Leine gehen?- Kam Freya überhaupt nicht in den Sinn.
Bevor ein falscher Eindruck entsteht. Ich liebte sie- auch mit diesen Makeln, die so wenig in die hippe Hundeszene passten. Zu Hause war sie der beste Hund, den man sich vorstellen konnte. Nur war es nicht möglich mit ihr unter die Leute zu gehen, man konnte nur gezogen werden.
Andere Menschen mit ihren Hunden, die ich gesehen habe, hatten Erfolge mit den Trainingsmethoden zur Leinenführigkeit. So ließen sich ihre Hunde mit Leckerlies an der Leine führen und auch das Blockieren, Stehen bleiben usw. führte zu einer Verhaltensänderung.
Aber für mich sah das immer seltsam aus, was sie da machten. Irgendwie fühlte es sich mechanisch und unnatürlich an. So als wenn Mensch und Hund sich nicht authentisch benehmen. Ich wusste damals insgeheim schon, dass ich das so nicht wollte.
Ebenso begegneten mir Menschen und Hunde, die mit den gleichen Methoden, die Leinenführigkeit trainierten, wie die "Erfolgreichen", aber es brachte nicht das gewünschte Ergebnis.
Ich denke, es verhält sich hierbei wie in der Menschenschule: Kinder und Jugendliche, die im System als "normal/ normiert" gelten, sind folgsamer und stellen sich auf unterschiedliche Lehrmethoden ein, um gewünschte Lernziele zu erreichen. Sie erkennen auch die fremden Lehrinhalte an, denn das was gelernt werden soll, ist vorgegeben und kommt keineswegs von den Heranwachsenden selbst. Diese Schüler kann man von außen gut für gewünschte Zwecke motivieren- eben auch dazu, sich anzupassen und die Lehrvorgaben anzunehmen. Anders sieht es bei Schülern aus, die eigene Sachen entdecken & erforschen wollen und "frecherweise" ihr Ding durchziehen.
Bei diesen "eigensinnigen" Wesen kannst du eine Technik und Methode nach der anderen anwenden, du wirst sie nicht erreichen. Erst wenn du ihnen ehrlich begegnest und ihnen Freiräume einrichtest, in denen sie sich verstanden fühlen, kannst du ihnen wirklich begegnen.
Ja, wenn der Hund eine Persönlichkeit hat, die das zulässt. Was meine ich damit? Wer meinen Artikel zur Vermenschlichung gelesen hat, weiß, dass ich Hunden mehr zutraue als in Expertenkreisen angenommen wird. Wie bei Menschen gibt es eine Menge Hunde, die sich viel gefallen lassen. Es finden sich Vierbeiner, die sich rumkommandieren lassen, die sich Ungerechtigkeiten gefallen lassen, die einfach nicht das Maul aufmachen, wenn sie was stört und tun, was man ihnen sagt. Ebenso gibt es, wie in der Menschenwelt, Hunde, die sich bestechen lassen und sich Vorteile verschaffen wollen. Manche Vierbeiner wissen auch gar nicht, was sie ohne eine Führung machen sollen. Sie wollen eine Regierung und denken, dass es ohne nicht geht- ganz wie in der Menschenwelt. Bei diesen Hunden klappt es mit dem Leinenführigkeits-Training. Diese Hunde sind eher bereit, natürliche Wesenszüge zu "opfern" und sich mit Mitteln, die ihre Wahrnehmung und Handlungsmöglichkeit einschränken, an der Leine führen zu lassen. So sehe ich immer wieder Hunde mit unnatürlicher Kopfhaltung an einer Leine, die auf das nächste Leckerlie warten. Die "gute" Leinenführigkeit bei diesen Hunden entsteht keineswegs dadurch, dass ihre Menschen mit ihnen besser trainieren, sondern weil diese Hunde charakterliche Eigenschaften besitzen, die sie entscheiden lassen bei diesem "Kunststück" mitzumachen. Die nicht "erfolgreichen Leinenführer" denken aber oft- oder es wird ihnen gesagt- dass sie nicht gut genug mit ihrem Hund üben. Dabei liegt es auch hier an den Wesenszügen ihres Hundes.
Denn neben den Hunden, die sich normieren lassen, gibt es auch die Hunde, die unbeugsam, selbstständig und unbestechlich sind. Zu dieser Gruppe gehört meine Freya. Bei ihr konnte ich mich auf den Kopf und wieder auf die Beine stellen mit all den von Menschen erdachten Theorien und Methoden.
Ich musste lernen, selbst authentisch und natürlicher zu werden. Ich mussste mir die Mühe machen, sie zu beobachten, ja regelrecht zu studieren. Ich musste einen Weg finden, sie zu verstehen und mit ihr angemessen zu kommunizieren. Ich denke, dass wir beide, ein ganzes Stück voran gekommen sind. Sie macht mich auch heute noch darauf aufmerksam, wenn ich in eine Rolle falle und nicht authentisch bin. Was bei uns vorteilhaft dazu kommt, ist ein großes Grundstück, auf dem sie sich frei mit Wotan (unser Hund, der noch zur Familie dazukam) bewegen kann.
In der Gassitruppe ist Freya meine Mitarbeiterin. Sie zeigt mir an, was bei den Hunden los ist und hilft mir, neue Hunde einzuschätzen. Es ist erstaunlich, wie wir uns mittlerweile verstehen.
Und an der lockeren Leine gehen? Für Freya überhaupt kein Problem und wenn sie jetzt mal zieht, hat es einen für mich erkennbaren Grund.
Erkenne, wen du da an deiner Seite hast. Ist es ein Hund, der nicht viel hinterfragt oder etwa alles hinterfragt? Ist es ein Hund, der einen Rahmen abgesteckt haben möchte, weil er sich sonst verliert oder ist dein Vierbeiner richtig gut im Umgang mit viel Freiheit? Eventuell hast du auch einen Hund, dessen Respekt du dir erst erarbeiten musst. Es gibt so viele unterschiedliche Charaktere bei den Hunden. Sie alle sind liebenswert und man darf sie deshalb nicht alle nach einem Schema behandeln.
Du hast die Möglichkeit, ehrlich zu erkennen, wer dein Hund ist. Gelingt es, könnt ihr euer Zusammenleben harmonisch gestalten. Das kostet einig wenig mehr Mühe als die vorgegebene "Bedienungsanleitung" aus der Verhaltensbiologie und anderen Expertenbereichen zu nutzen- aber es lohnt sich!
Vielleicht macht sich der eine oder andere auch auf den mühevolleren Weg des gegenseitigen Verstehens und Respektierens. Hund und Mensch geht es meiner Meinung nach am Besten, wenn sie sich natürlich und angemessen begegnen.
Also, wenn du im üblichen Training keine Fortschritte mit deinem Hund machst, sei nicht enttäuscht. Vielleicht hast du das große Glück, einen "unbeugsamen" Hund an deiner Seite zu haben. Mit ihm zusammen kannst du viel über dich und ihn lernen. Es dauert sicher länger, aber wenn du dich darauf einlässt, könnt ihr zusammen ganz authentisch und entspannt durchs Leben gehen.